Manchmal finden Nager ihren Weg ins Kanthaus. Schuld daran sind Öffnungen in der Außenhülle des Hauses. Manchmal lassen Menschen die Türen zum Garten offen. Vor allem aber führen zum Teil Heizungsrohre durch die Außenhülle des Hauses, was (noch) nie richtig abgedichtet wurde. Bisher war das vor allem gelegentlich eine Maus. Kürzlich wurde aber etwas neuartiges gesichtet: Ein riesiges Wesen, Augenzeug*innenberichten zufolge mindestens 30cm lang. Eine Ratte.
Was tun?
Unsere Strategie für den (friedlichen) Kampf gegen das riesige Nager besteht aus drei Komponenten:
- Lebensmittel retten
- Zugänge versiegeln
- Nager umsiedeln
Lebensmittel retten
Im Kanthaus waren wir schon immer gut darin, Lebensmittel zu retten. Normalerweise bedeutet das, sie vor (oder aus) dem Müll zu retten; dieses Mal retten wir Lebensmittel vor anderen Lebensmitteln im Kanthaus. Zum Glück beschränkt sich der Lebensraum von Nagern im Kanthaus bisher auf den Keller. Zum Unglück lagern wir im Keller viele (vor allem gerettete) Lebensmittel. Zum Glück haben wir aber einen Raum im Keller mit einer Brandschutztüre. Und was für Brandschutz gut genug ist, reicht auch für hungrige Nager.
Wir haben also sicher gestellt, dass alles, was das Rattenherz höher schlagen lässt, entweder nagersicher (z.B. in Eimern), oder im ehemaligen Heizraum gelagert ist. Das scheint die akutesten Probleme gelöst zu haben: Unser Essen wird nur noch von Bewohner*innen im Kanthaus gegessen, die hier auch erwünscht sind.
Doch ganz ist das Problem damit noch nicht gelöst. Denn wenn Nager nichts anderes zu essen bekommen, können sie auch mal ein Feuer auslösen.
Zugänge versiegeln
Es gibt zwei Zugänge für Ratten im Kanthaus:
- Türen
- Löcher
Türen
Eigentlich sollte das einfach sein: Wenn alle wissen, dass die Türen geschlossen sein sollten, machen alle die Türen zu. Leider funktioniert es in der Praxis nicht so einfach. Auch wenn wir Schilder an die Türen gemacht haben und es immer wieder angesprochen wird, sind die Türen immer wieder offen. Sei es, weil Menschen die Luft so angenehm finden, es vergessen, keine Hand frei haben, oder neu sind und es ihnen nicht erklärt wurde. Dieses Problem ist also noch ungelöst. Du hast Ideen, wie wir es lösen können? Schreib uns!
Löcher
Auch dieses Problem ist noch ungelöst, aber nicht mehr lange. Als die Wärmepumpe installiert wurde, wurden die Rohre einfach durch ein Kellerfenster gelegt. Das verursacht gleich zwei Probleme:
- Nager können rein
- Kälte / Hitze kann rein
Deshalb wird dieses Loch bald™ mit Ratten-sicherem Material (z.B. Steinen und Stahlwolle) gestopft.
Nager umsiedeln
Das ist der interessante und bisschen (zumindest für mich) spaßige Teil. Das Umsiedeln besteht aus drei Teilen:
- Fangen
- Wegfahren
- Freilassen
1. Fangen
Inspiration
Gerüchten zufolge gab es schon einmal eine Ratte beim Kanthaus, die erfolgreich gefangen wurde. Hierfür wurde eine Dose drehbar über einer Regentonne befestigt und mit Leberwurst beschmiert. Nach ca. einem Monat hat die Ratte versucht, die Leberwurst zu essen, die Dose hat sich gedreht und die Ratte ist in die Tonne gefallen. Zwar springen Ratten bemerkenswert hoch, aus der Regentonne ist sie aber nicht gekommen.
1. Versuch
Inspiriert von diesem Erfolg habe ich den ersten Versuch einer Falle gestartet:
Ich habe einen Blecheimer genommen, ein Loch in eine Plastikflasche gebohrt, einen (etwas schmaleren) Metallstab durchgeschoben, den Metallstab durch die Henkel des Eimers geschoben, etwas Wasser in den Eimer gegossen und die Flasche mit Schokocreme bestrichen. Die Idee war, dass die Ratte versucht, die Schokocreme von der Seite aus zu erreichen, bei der keine Stange ist, an der sich drehenden Flasche abrutscht und in den Eimer fällt. Das Wasser sollte die Sprungkraft der Ratte soweit verringern, dass sie nicht wieder raus kommt (aber gleichzeitig auch nicht ertrinkt).
Das hat nicht funktioniert: Die Ratte hat die Flasche einfach zur Seite geschoben.
2. Versuch
Ich war noch immer überzeugt von dem Konzept der ersten Version, also habe ich ein paar Verbesserungen vorgenommen. Ich hab den Eimer durch eine höhere Regentonne (ohne Wasser) ersetzt, die Flasche auf eine Schnur gespannt und innen Dinge an die Schnur geknotet, sodass die Flasche nicht zur Seite geschoben werden kann. Leider hatte ich keinen so guten Köder mehr zur Verfügung, also hab ich Zuckerrübensirup drauf geschmiert und Speck dran geklebt. Ekelhaft!
Ich weiß noch immer nicht genau, ob alles abgetropft ist, oder ob die Ratte tatsächlich dazu beigetragen hat. Jedenfalls war die Falle nicht erfolgreich:
3. Versuch
Noch bevor ich den zweiten Versuch gestartet hatte, war mir klar, dass ich für diese Ratte eine ausgefuchstere Lösung brauchte. Zusammen mit Gwen fing ich an, eine smarte Falle zu bauen. Die rattrap
ist open source, hat zwei Lichtsensoren, einen Servo-Motor, einen Magnet-Verschluss und WiFi, um Benachrichtigungen über Mattermost zu schreiben.
Gwen hat aus Metallresten den Körper zusammengeschweißt. Vorne an der Falle ist ein Schlitz, in dem das Tor runter fällt. Auf einem Holzblock ist ein Servo, der einen Arm in einem Schlitz im Tor hat, um es am Herunterfallen zu hindern. Läuft die Ratte weit genug rein (angelockt durch einen Köder am Ende), löst sie eine der Lichtsensoren aus, der Motor dreht sich und das Tor fällt runter. Magneten unten am Tor und unter dem Eingang hindern den Nager daran, das Tor wieder auf zu schieben. Die Falle wird kontrolliert von einem ESP32 NMCU, der (sobald die Falle zuschlägt) außerdem eine Benachrichtigung in einen extra Mattermost-Kanal schickt.
Bei der rattrap
gab es einige Schwierigkeiten:
- Die Metallplatten haben unterschiedliche Dimensionen, was das Schweißen erschwert hat. Deshalb ist die Falle kein perfekter Quader. Ratten scheint das nicht zu stören
- Ich hab einige Stunden damit zugebracht, zu versuchen, einen ESP32 anzusteuern, der anscheinend defekt ist
- Die Erkennung einer Ratte im Inneren hat sich als erstaunlich herausfordernd herausgestellt:
- Zuerst wollten wir einen Lichtsensor nehmen. Irgendwann haben wir jedoch festgestellt, dass unser Modell nur eine Reichweite von 6cm hat. Unsere Falle hat aber eine Breite von ca. 15cm
- Die zweite Idee war ein Ultraschallsensor. Ratten hören aber im Ultraschallbereich
- Ein Bewegungsmelder kam uns ideal vor. Bewegungsmelder detektieren sich bewegende Objekte, die im Infrarot-Bereich strahlen. Also z.B. Ratten! Allerdings hat der Stahlkasten vermutlich zu viel reflektiert, sodass wir nicht zuverlässig erkennen konnten, ob die Ratte weit genug rein gelaufen war (oder ob wir überhaupt eine Ratte erwischt hatten!). Dieser Sensor hat zu Fehlalarmen geführt :(
- Schließlich hab ich beschlossen, zwei Lichtsensoren zu verwenden. Das kam mir zwar overkill vor, aber funktioniert immerhin. Ich hab also die Lichtsensoren in gegenüberliegenden Löchern eingebaut und das schien zu funktionieren. In der ersten Nacht, in der die Falle aktiv war, kam es aber wieder zu einem Fehlalarm! Nach etwas hin und her und Beratung mit anderen Kanthausianis hab ich festgestellt, dass die Lichtsensoren sich gegenseitig anleuchten, was zu Messfehlern führt
- Ich hab also ein zweites Loch versetzt in die Falle gebaut, das scheint das Problem gelöst zu haben
- Um die Ratte einzuschließen, muss das Tor schnell (in weniger als 500ms) geschlossen werden.
- Zuerst wollte ich einen Elektromagneten verwenden. Wir haben aber keine nicht eingebauten Elektromagneten
- Also habe ich einen eigenen Elektromagneten gebaut: Ich habe einen Elektromotr auseinander gebaut, die Spulen abgewickelt und den Kupferlackdraht um einen Eisennagel gewickelt. Dieser Elektromagnet hat sich aber als sehr schwach herausgestellt
- Nach etwas hin und her hab ich beschlossen, einen Servomotor zu verwenen. Der Motor hat einen Arm in einem Schlitz im Tor. Er wird mit einer externen Stromquelle gespeist, die ich noch fix zusammen gelötet hab
- In der ersten Nacht, als der Fehlalarm ausgelöst wurde, hab ich die Sorge (Paranoia?) entwickelt, die Ratte könnte das Tor öffnen. Also hab ich einen Magneten an das Tor geklebt und einen weiteren vorne unter die Falle gelegt. Wenn das Tor zufällt, halten die Magneten es also an Ort und Stelle
Wenige Stunden nachdem all diese Schwierigkeiten gelöst waren, ist F. tagsüber in den Keller gegangen, um etwas von den Vorräten zu holen. Plötzlich ruft Larissa uns im Garten Sitzenden oben aus der Snack Kitchen zu, dass die Rattenfalle etwas gefangen hätte! Ich konnte nicht glauben, dass die Falle zugeschlagen hat, während F. im Keller war, und hab schon angefangen, die Sensitivität der Sensoren im Code am Laptop runter zu schrauben. Da kommt F. aus dem Keller gerannt und schreit, wir hätten tatsächlich was gefangen!
Also auf zu Schritt 2...
2. Wegfahren
Es ist eine schwierige Frage, wo eine Ratte ausgesetzt werden soll. Einerseits wollen wir sie nicht töten. Ihren Überlebenschancen hilft es, wenn sie den Weg zurück zu ihrer Familie findet; dafür sollte sie höchstens 100m weit weg gebracht werden. Andererseits soll sie nicht den Weg zurück in unseren Keller finden; dafür muss sie (um ganz sicher zu gehen) mindestens 3km weit weg gebracht werden. Da wir die Zugänge zum Keller noch nicht verschlossen haben, haben wir uns dazu entschieden, sie mindestens 3km weit weg zu bringen.
Gwen und ich haben also die Falle auf einen Anhänger gespannt und sind mit dem Fahrrad losgefahren.
3. Freilassen
Schließlich haben wir sie am Rande einer Baumgruppe schön weit weg vom Kanthaus freigelassen. Die Ratte hat die Fahrt wohl gut überstanden; sie saß in der Falle und hat am Köder geknabbert. Als sie schließlich draußen war, hat sie noch in einem heroischen Rache-Akt (erfolglos) versucht, mich anzuspringen, und ist dann Richtung Kanthaus weg gerannt. Ich glaube nicht, dass sie einen Weg zurück finden wird. Vielleicht hat sie aber ein neues schönes Leben in der Natur angefangen.
Fazit
Komplizierte Lösungen mit WiFi sind immer besser!